Würfel mit den Buchstaben des Wortes 'fake' werden umgedreht zu dem Wort 'fact'

Schweres Erbe und Verantwortung für heute: Judenfeindschaft erkennen und bekämpfen

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Judenfeindschaft

Die dunkle Seite des christlichen Glaubens

Die Entwicklung judenfeindlichen Denkens und Handelns mit ihren verheerenden Folgen ist nicht vorstellbar ohne die christliche Tradition.

Bis heute wirken christliche Wurzeln der Judenfeindlichkeit nach. Manchmal passiert das ganz offensichtlich, manchmal eher untergründig. In der europäischen Kultur haben sich in der Judenfeindlichkeit tiefe Abneigungen unterschiedlicher Herkunft miteinander vermischt, sie seien religiös begründet, gesellschaftlich, kulturell, politisch, ethnisch oder anders.

Aus Zuschreibungen, Neid und festgefügten Vorbehalten hat sich bis in die Moderne eine Weltanschauung entwickelt. Tief sitzende emotionale Abneigung, Schwarz-Weiß-Denken und Verschwörungsglaube kennzeichnen sie. Vielfalt sieht sie nicht als Reichtum, sondern als Bedrohung. Ein Judenfeind oder eine Judenfeindin lehnen Menschen aus dem einzigen Grund ab, weil sie in ihren Augen „jüdisch“ sind oder sich „jüdisch“ verhalten. Und „jüdisch“ ist für sie alles, was sie selbst nicht sein wollen. Dabei ist egal, was Jüdinnen und Juden tun oder lassen, wie sie aussehen und leben, wie sie ihr Jüdischsein verstehen.

„[Es gehört] zu den ureigensten Aufgaben der Kirche, sich von jeglicher Judenfeindschaft loszusagen, ihr dort, wo sie sich regt, zu widerstehen und sich um ein Verhältnis zu Juden und jüdischer Religion zu bemühen, das von Respekt, Offenheit und Dialogbereitschaft geprägt ist.“

Aus der Erklärung der ELKB zum Verhältnis von Christen und Juden 1998

Antisemitismus ist der bekannteste Begriff für dieses fest gefügte Weltbild, das sich aus judenfeindlichen – antisemitischen – Denkmustern zusammensetzt. Es teilt dabei die Welt in gut und böse ein und vertritt den absurden Glauben, dass „die Juden“ sich dazu verschworen hätten, hinter den Kulissen die Geschicke der Menschheit zu ihrem eigenen Vorteil zu steuern. Mit Vernunft, Logik oder nachvollziehbaren Reaktionen hat Antisemitismus nichts zu tun: Das Urteil über „die Juden“ steht fest. Menschen glauben daran, so widersprüchlich es auch ist: Da gelten „die Juden“ als schwach, verkommen und parasitär und zugleich als sagenhaft finanzstark, mächtig und einflussreich.

Christlich geprägte Überzeugungen haben erheblich dazu beigetragen, dass die „Lehre der Verachtung“ des Judentums (Jules Isaac) zu einem festen Bestandteil der sogenannten christlich-abendländischen Kultur wurde. Sie schufen ein Grundmuster, dass „das Jüdische“ als Gegensatz zum „Christlichen“ versteht. Und so galt das christlich-jüdische Verhältnis meist als ein Verhältnis zwischen „Glaube“ und „Unglaube“ und das Judentum als unvollständig, minderwertig und veraltet gegenüber dem Christentum.

Über viele Jahrhunderte hinweg haben Christinnen und Christen die vielen Gemeinsamkeiten von Judentum und Christentum „vergessen und verleugnet, mißdeutet und uminterpretiert“ (ELKB 1998). Nach der Katastrophe der Vernichtung eines großen Teils der europäischen Judenheit lernen die christlichen Kirchen in langsamen und schwierigen Prozessen, wie christlich propagierte Denkmuster und antijüdische Gewalt bis hin zur Schoa zusammenhängen und wie sie bis heute in ihrer Verkündigung und Lehre nachwirken. Es ist mühsam und unangenehm, sich diesem Irrweg der eigenen, christlichen Tradition zu stellen und neue, angemessenere Traditionen zu bilden. Die Organe der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern haben sich mehrfach dazu bekannt, dass sie sich in Wort und Tat der Herausforderung der Judenfeindschaft stellen.

Eine allgemein anerkannte Definition von Antisemitismus gibt es nicht. Manche verstehen Antisemitismus ganz weit als gleichbedeutend mit Abneigung oder Feindseligkeit gegen Jüdinnen, Juden und das Judentum. Manche sehen Antisemitismus lediglich als eine Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wie Frauenfeindlichkeit oder Ausländerfeindlichkeit. Andere verstehen Antisemitismus ganz eng als den rassistischen Judenhass, der im 19. Jahrhundert entstand und die Grundlage für die nationalsozialistische Judenvernichtung bildete. Wieder endere lehnen den Begriff ab, weil er unscharf ist.

Die „International Holocaust Remembrance Association“ (IHRA) hat im Jahr 2016 eine Arbeitsdefinition zum Antisemitismus veröffentlicht, die sich mittlerweile unter anderem das Europaparlament, die deutsche Bundesregierung und die bayerische Staatsregierung zu Eigen gemacht haben:

„Der Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“

Das Verhältnis von Christen und Juden war in der Geschichte nie immer so einfach, wie es das Denkmuster des Gegensatzes nahelegen. Es gabt immer kulturellen Austausch und Beziehungen zwischen christlichen und jüdischen Menschen, wenn auch die Oberfläche geteilter Erfahrungen und Begnungen oft bedroht war von Umschwüngen, Hass, Vorurteil und sich als dünn erwies. Jüdinnen und Juden sind ihren Traditionen treu geblieben und haben zugleich die Grundlagen für jüdisches Leben immer den Umständen angepasst, auch wenn es für sie Diskriminierung, Verfolgung, Vertreibung, Verteufelung und Ermordung bedeutet hat.

Jüdinnen und Juden haben Großartiges vollbracht in der Geschichte. Sie haben die europäische Kultur und Geschichte bereichert. Sie haben einerseits aus dem geschöpft, was sie in ihrer nichtjüdischen Umwelt erfahren haben. Sie haben andererseits ihre nichtjüdische, meist christliche Umwelt nachhaltig beeinflusst. In Auslegungen der Bibel, in Kunst, Handwerk, Literatur und Musik lassen sich Spuren des jüdisch-christlichen kulturellen Austauschs finden.

Auch die Reformation wäre anders verlaufen ohne die jüdischen Lehrer, die interessierten Christen die hebräische Sprache des ersten Teils der christlichen Bibel beigebracht haben und so neue Entdeckungen in der Bibel eröffnet haben. In Nürnberg lernt der Reformator Andreas Osiander bei einem Juden Aramäisch und viele jüdische Traditionen kennen. Später helfen ihm seine Kenntnisse, um den Aberglauben, Juden würden „Ritualmorde“ begehen, Punkt für Punkt aus der jüdischen Traditionsliteratur als dreiste Lüge zu erweisen.

Für Jahrzehnte wirkten judenfeindliche Denkmuster eher verborgen oder verbrämt, offener Judenhass war in beiden deutschen Staaten nach der Schoah meist verpönt.Weg oder überwunden war er nie.

07.04.2021
Axel Töllner

Das zeigt sich heute überdeutlich: Die digitalen Medien bieten den Judenfeinden heute die Möglichkeit, ihre Fantasien massenwirksam gegen alles zu verbreiten, was sie für „jüdisch“ halten. So verändern sie das Klima in unserer Gesellschaft und verstärken bei einigen das Gefühl, es könnte doch was dran sein an den Gerüchten, die man sich über sie erzählt. Der frühere britische Oberrabbiner Lord Jonathan Sacks hat es einmal auf den Punkt gebracht: „Antisemitismus ist eine Krankheit, die alle zerstört, die sie beherbergen. Hass verletzt den Gehassten, aber sie zerstört den Hassenden. Es gibt keine Ausnahme.“

Ansprechpartner für Christlich-jüdischen Dialog

Pfarrer Dr. Axel Töllner

Pfarrer Dr. Axel Töllner

Landeskirchlicher Beauftragter für christlich-jüdischen Dialog; Institut für christlich-jüdische Studien und Beziehungen an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau
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91564 Neuendettelsau

Tel.: 09874 / 509-470
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