Mit Spannungen friedensstiftend umgehen

Mit Spannungen friedensstiftend umgehen

Bild: ELKB

Friedenspapier der ELKB

Mit Spannungen friedensstiftend umgehen

In dem Friedenspapier der Fachabteilung Ökumene wird die Vielfalt des Friedensengagements der ELKB in den Blick genommen und konzeptionell bearbeitet, erklärt Martin Tontsch von der Arbeitsstelle kokon im Interview. 

Wie ist es zu dem Papier gekommen, welche Motivation und welches Ziel hat die Abteilung bewegt?
Auf ihrer Tagung mit dem Schwerpunktthema „Frieden“ hatte die Landessynode sich damit beschäftigt, was die ELKB dazu beitragen kann und den Auftrag gegeben, die Vielfalt des Friedensengagements in der ELKB in den Blick zu nehmen und konzeptionell zu bearbeiten.

Welche Bedeutung hat Friedensarbeit gerade heute?
Jeder Blick in die Nachrichten zeigt, wie unfriedlich unsere Welt ist: Kriegerische Konflikte in der Ukraine, im Nahen Osten und in vielen anderen Ländern, ein Zunehmen demokratiefeindlicher Positionen und auch in vielen Diskussionen wird eine Polarisierung spürbar, die den gesellschaftlichen Frieden bedroht. Dass Friedensarbeit wichtig ist, ist völlig klar.

Landeskirchenamt der ELKB, Abt. Kirchliches Leben und Ökumene

Cover des Buches Landeskirchenamt der ELKB, Abt. Kirchliches Leben und Ökumene: Mit Spanungen friedensstiftend umgehen

Mit Spanungen friedensstiftend umgehen

Anstöße zum Nachdenken, die sowohl die Realität von Konflikten wie die christliche Friedensbotschaft ernst nehmen und Perspektiven aufzeigen, wie in einer Welt voller Krieg und Gewalt, die biblische Botschaft von Frieden und Versöhnung Gestalt gewinnen kann.

Welche Position vertritt das Papier?
Das Paradoxe am dem Thema ist, dass alle „Frieden“ wichtig finden, es aber schnell kontrovers wird, wenn es konkret wird. Deshalb heißt das Papier bewusst „Mit Spannungen friedensstiftend umgehen.“ Es vertritt weniger konkrete Positionen, sondern beschreibt Beiträge, mit denen die ELKB eine Kultur des Friedens fördern kann.

Es geht um eine doppelte Friedensaufgabe der Kirche, die man unter die Begriffe „Gerechtigkeit“ und „Frieden“ fassen kann. Wie eng Gerechtigkeit und Frieden zusammenhängen, ist eine der wichtigsten Erkenntnisse des Konziliaren Prozesses für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Aus gutem Grund ist und bleibt der „gerechte Frieden“ der Bezugspunkt evangelischer Friedensethik: Ohne Gerechtigkeit ist Frieden nicht mehr als ein Waffenstillstand. Wer nachhaltigen Frieden will, muss dafür sorgen, dass die grundlegenden Bedürfnisse aller Menschen erfüllt sind. Frieden im Sinne des biblischen „Schalom“ ist ein umfassendes Wohlergehen und daran muss sich die Kirche orientieren. Dazu gehört der Einsatz für Menschenrechte und für Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit in der Einen Welt. Darin besteht eine zentrale Friedensaufgabe der Kirche.

Gleichzeitig führt in konkreten Konflikten der Begriff der Gerechtigkeit nicht unbedingt dazu, dass es friedlicher wird. Das weiß jeder, der schon einmal versucht hat, Kinder zu erziehen. Was gerecht ist, darüber besteht im Konkreten nicht immer Konsens. Wo angesichts von realen Unterschieden und Spannungen in dieser Welt Konflikte konstruktiv, möglichst gewaltfrei ausgetragen werden sollen, muss es Kompromisse geben können. Das aktuell wohl dramatischste Beispiel dürfte der Krieg in der Ukraine sein: Zwischen dem Recht auf territoriale Integrität und einem Schweigen der Waffen besteht ein großes Spannungsverhältnis. Die Kirche muss immer auch davor warnen, politische Positionen religiös zu überhöhen.

Was kann das Papier den Einzelnen, den Kirchengemeinden oder auch Einrichtungen mitgeben?
Gute kirchliche Arbeit ist auch immer ein Beitrag zum Friedensstiften, weil er Ressourcen für ein friedliches Miteinander stärkt: Ein lebendiges Gemeindeleben stärkt die Zivilgesellschaft und damit die Demokratie, gute Seelsorge ermöglicht Erfahrungen von innerem Frieden und im Gottesdienst wird die Zusage von Gottes Frieden spürbar, der höher ist als alle politischen und ethischen Positionen.

Gleichzeitig sollten Themen wie Krieg und Frieden, Verteidigungsfähigkeit und gesellschaftliche Resilienz, Gewalt gegen Frauen und Kinder, aber auch Migration, Rassismus, Queer-Themen, globale Gerechtigkeit und anderes aufgegriffen werden – denn Glaube ist immer auch politisch. Wir brauchen eine Diskurskultur, die Achtsamkeit erhöht, Mitgefühl und Perspektivenwechsel ermöglicht und demokratische Haltungen fördert.

Damit dies in einer friedensstiftenden Weise gelingt, muss konstruktiver Streit möglich sein. Das mag banal klingen, ist es aber nicht. Denn Religion hat immer auch die Versuchung zu einem gewissen Radikalismus ins sich. Wenn der Eindruck erweckt wird, aus „der Bibel“ oder „den Menschenrechten“ folge zwangsläufig eine bestimmte politische Position, dann werden die Diskursräume eher enger. Damit eine Diskussion über ethische Themen möglich wird, dürfen soziale und politische Themen nicht sakralisiert werden. Ambiguitätstoleranz öffnet Diskussionsräume, in denen Einsichten wachsen können. Konkret kann die Einladung zu einem Gespräch beim Gemeindekaffee nach einer politischen Predigt sinnvoll sein oder ein „Fish-Bowl“ im Konfirmandenunterricht.

Die Arbeit an einer Kultur des Friedens hat aber auch viel mit dem Umgang mit Gewalt und Konflikten in unserer eigenen Organisation zu tun. Die ForuM-Studie stellt uns intensiv die Frage: Gibt es in jedem Bereich unserer Kirche eine Achtsamkeit dafür, was als Grenzüberschreitung erlebt wird? Aber auch bei einem Rundschreiben oder Aushang auf dem Friedhof sollten wir uns fragen, was im Vordergrund steht: Das Werben um Verständnis für sinnvolle Anliegen oder strikte Regeln mit Sanktionsdrohungen?

Dies sind einige Beispiele für den weiten Bogen, den das Papier „Mit Spannungen friedensstiftend umgehen. Perspektiven und Impulse für die Friedensarbeit in der Evang.-Luth. Kirche in Bayern“ schlägt. Es geht davon aus, dass konkretes, friedensstiftendes Verhalten im Kleinen ausstrahlt und eine Kultur des Friedens fördert.

Dass es dabei nicht um Nachgeben geht, sondern um aktives Friedensstiften, beschreibt das Papier in der Auslegung der Bergpredigt durch den amerikanischen Neutestamentler und Friedensaktivisten Walter Wink: „Die rechte Wange hinhalten“ ist kein passives Erdulden, sondern im damaligen sozialen Kontext eine kreative symbolische Form des gewaltfreien Widerstand (Abschnitt „Ziviler Widerstand, S. 18).

Außerdem befasst es sich mit Artikel 16 der Confessio Augustana, in dem es um die Frage der Kriegsführung geht und der in der Friedensbewegung immer wieder mit guten Gründen kritisiert wurde. In dem Papier fassen wir neuere Erkenntnisse zur Entstehung des Textes zusammen, der letztlich gerade dazu ermutigt, sich nicht zu zurückzuziehen, sondern sich politisch zu engagieren und mit den Spannungen im öffentlichen Leben friedensstiftend umzugehen (S. 21).

05.12.2024
ELKB

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